Donnerstag, 12. Juli 2012

[Story] Kindergeschichte: Ich bin doch schon groß!

Heute ist mein 5. Geburtstag. Ich bin jetzt eine ganze Hand voll Jahre alt. Ab heute bin ich also kein Kind mehr. Bald geh ich in die Schule. Ich freue mich schon sehr darauf. Da bin ich endlich bei Kindern die genauso groß sind wie ich. Mein Bruder ist erst 4. Noch ein richtiges  Baby. Meine Mama hat das Wohnzimmer geschmückt. Überall hängen Ballons und eine große Torte steht auf dem Tisch. Auf der steht mit rotem Zuckerguss Tijana, mein Name, und darunter eine genauso große 5.
Heute kommen meine Freunde zu Besuch. Wir wollen alle zusammen feiern, dass ich erwachsen geworden bin. Um zwei Uhr klingelt es an der Tür. Schnell renne ich hin und reiße sie auf.
,,Tijana, du musst immer durch den Spion schauen, damit du weißt wer hinter der Tür ist.“, tadelte mich meine Mutter. ,,Das weiß ich.“, sagte ich trotzig. Machte die Tür vor den Augen meiner Freunde wieder zu, holte mir einen Eimer, stellte ihn vor die Tür und schaute, auf dem Eimer stehend, durch den Spion. ,,Da stehen meine Freunde und ihre Eltern.“, verkündete ich, während ich den Eimer wegstellte und die Tür erneut öffnete. Das dahinter stehende Grüppchen schaute mich einen Augenblick verblüfft an, dann kamen sie rein. Meine Freunde nahmen mich in den Arm und wünschten mir alles Gute.
Sie legten die Geschenke im Wohnzimmer auf einen Haufen. Ich stürmte sofort hin und begann sie aufzureißen. Das erste, dann das zweite und das dritte. Irgendwann fragte meine Mama: ,,Tijana? Bedank dich bitte bei deinen Freunden für die Geschenke.“ ,,Das weiß ich, ich bin schon groß.“, sagte ich wütend. Ich ging zu meinen Freunden und gab jedem einzelnen die Hand und sagte wie toll ich das Geschenk fand. Ein fester Händedruck und eine klare Stimme, hatte ich meinen Papa mal zu einem Kollegen sagen hören, dass macht immer einen guten Eindruck. Und in die Augen schauen. Immer in die Augen schauen, wenn man mit jemandem spricht. Konzentriert befolgte ich all das und ignorierte das Gekicher der dummen Erwachsenen. Das war richtig, da war ich mir sicher.
Als ich meine Geschenke ausgepackt hatte, aßen wir zusammen was von dem leckeren Kuchen. Ich schaffte es alle Kerzen mit einem Mal auszupusten und durfte sogar vorsichtig den Kuchen anschneiden. Die Hand meines Papas, die meine führte, spielte keine Rolle.
Genüsslich kratzte ich den Zuckerguss von meiner Torte. Das Leckerste würde ich zum Schluss essen. Der Kuchen schmeckte so lecker, dass ich schnell viel in meinen Mund schob.
,,Tijana, mach bitte den Mund zu beim kauen.“, bat mich meine Mama leise. ,,Ich weiß“, sagte ich trotzig, wobei ein Teil des Kuchens aus meinem Mund fiel. Wütend schloss ich ihn und kaute. Dreißig bis fünfunddreißig mal kauen vor dem Schlucken. Das hatte meine Mama mal beim essen vor sich hingemurmelt. Bis dreißig zählen kann ich. Das kann ich sogar sehr gut. Und so nahm ich Bissen für Bissen in den Mund und kaute brav mit geschlossenem Mund bis ich bis dreißig gezählt hatte. Bei jedem Bissen. Die anderen Kinder waren alle längst fertig und warteten nur auf mich. Doch ich war mir sicher, dass das so richtig war, und ließ mich nicht hetzen.
Nach dem essen zogen wir uns unsere Jacken und Schuhe an. Meine Eltern wollten uns wohin bringen. Wohin verrieten sie nicht. Wir fuhren eine Weile mit dem Auto und wo hielten wir? Vor dem Zoo! Da wollte ich schon so lange mal hin. Die Tiger und Löwen, die Eisbären und das Vogelhaus. Toll! Nachdem meine Eltern für uns den Eintritt bezahlt hatten, gingen wir in den Zoo. Im Streichelzoo, streichelten wir die Hasen und die Meerschweinchen. Wir bekamen alle ein Eis bevor wir weiter gingen. Wir schauten uns gerade die Delphine an, als ich ein Tier sah was ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es war etwas größer als ein Schaf aber kleiner als ein Pferd, sein ganzes Fell war strubbelig und sein Hals ziemlich lang. Ich rannte hin und sah es mir an. ,,Sei vorsichtig.“, hörte ich meine Freundin rufen. ,,Keine Sorge. Siehst du den Zaun? Es kann mir nichts tun.“, sagte ich und zeigte auf eben diesen. Plötzlich spukte mich das Tier an. Erschrocken fiel ich auf den Hintern. Ein Tier hatte mich noch nie angespuckt. Ich wusste gar nicht, dass sie das überhaupt können.
,,Tijana.“, hörte ich meine Mama rufen. ,,Ich weiß.“, rief ich traurig noch bevor sie etwas sagen konnte. ,,Ich bin kein Kind mehr.“
Lachend wischte sie mir mit einem Taschentuch die Spucke vom Gesicht ab. ,,Doch, genau das bist du. Aber weißt du was? Das ist super! Das bedeutet nämlich nur, das du noch ganz viel Platz in deinem Kopf hast um zu lernen.“ Einen Moment sah sie mich an. Dann begann sie haltlos zu lachen. ,,Und um Fehler zu machen.“, fügte sie noch immer lachend hinzu und zog mich wieder auf die Beine. Sie erzählte mir, dass das Tier ein Lama gewesen war und dass sie oft Leute anspukten. Der Tag im Zoo wurde noch richtig schön, aber von den Lamas hielt ich den restlichen Tag lieber etwas Abstand.

(c) Nadine Markowitz

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